Was Macht macht

Die Möglichkeit, über andere zu entscheiden, verändert uns. Psychologen haben untersucht, in welcher Weise.

Bei „Hierarchie“ denken viele an das Militär. Dabei gibt es fast überall Rangordnungen – in Firmen, Vereinen, Schulklassen, Verwaltungen, Sportteams, Familien. Sozial­psychologische Forschungen zeigen: Gruppen, in denen es zuerst keine Hierarchien gibt, bilden sofort von allein welche. Das schreiben die Psychologinnen Emily Zitek und Taylor Phillips in einem Themenspecial der Zeitschrift Current Opinion in Psychology. Schon sehr kleine Kinder verstehen Hierarchien auf Anhieb und wissen, wer etwas zu sagen hat und wer nicht.

Die Autorinnen kommen in ihrem Text zu dem Schluss: Wir alle haben eine Art eingebautes „Hierarchometer“, das wir in jeder sozialen Situation einschalten. Es zeigt uns an, welchen Rang wir im Vergleich zu anderen haben – ob es um unsere Stellung im Team geht, darum, wie wir abschneiden in der „Attraktivitätshierarchie“, unter Freunden oder ob wir gerade in unserer Beziehung zu sehr oder zu wenig dominant sind. Indem wir das einschätzen können, bekommen wir ein Gefühl von Kontrolle. Forschungen legen außerdem nahe: Je höher Menschen in einer Hierarchie angesiedelt sind, desto mehr versuchen sie, diesen Platz zu behalten.

Vorgesetzte legen die Ziele für das Team fest, Eltern entscheiden, in welche Schule ihre Kinder gehen, Fußballtrainer geben die Spieltaktik vor. Was macht diese Macht mit uns? Klar ist: Sie ist situativ und relativ. Vorgesetzte haben zwar Entscheidungsbefugnisse, aber in einem begrenzten Umfang. Mütter entscheiden zwar zunächst ein paar Jahre lang über ihre Kinder – aber nur so lange, bis die das nach und nach selbst übernehmen. Fußballtrainer sind nur erfolgreich, wenn sie Entscheidungen anpassen und die Bedürfnisse der Spieler berücksichtigen können. Psychologisch gesehen passiert aber einiges, wenn wir Einfluss haben: Es prägt unsere Gefühle und die Art, wie wir sie ausdrücken, und vergrößert die soziale Distanz zwischen Menschen.

Es fühlt sich gut an

Macht zu haben fühlt sich gut an, wie psychologische Forschungen zeigen. In einem Experiment erhielten die Teilnehmer in einem Fall Kontrolle über Ressourcen und im anderen nicht. Diejenigen, die Ressourcen verteilen durften, berichteten anschließend von positiven Gefühlen wie Stolz und Glück. Bei Führungskräften aus Militär und Regierung fanden sich geringere Stresslevel, getrieben offenbar von dem Gefühl, mehr Kontrolle zu haben. Wie spätere Untersuchungen zeigten, ist das jedoch nur dann der Fall, wenn die jeweilige Hierarchie hinsichtlich Zuständigkeiten und Personen stabil ist, berichten die Sozialpsychologen Gerben van Kleef und Jens Lange.

Schließlich wurde festgestellt: Wenn Menschen mit Einfluss sich ärgern, neigen sie stärker dazu, diesen Ärger auch zu zeigen. Darüber hinaus beobachteten Forscher, dass Menschen mit hohem Status anders, lauter und dominanter lachten als Menschen mit niedrigem Status. Offenbar unterdrücke ein niedriger Rang in einer Hierarchie die Neigung, Gefühle zu zeigen, so die Interpretation der Psychologen van Kleef und Lange.

Komplizierter sei es, wenn es um einen Zusammenhang zwischen dem Rang in der Hierarchie und den emotionalen Reaktionen gehe. Wie sensitiv Menschen mit Einfluss in Studien auf die Gefühle anderer reagierten, hing davon ab, ob sie eher prosozial eingestellt waren, aber auch davon, welchen Rang die anderen hatten. Und Studien zeigten auch, dass Menschen mit einem Sinn für Macht weniger emotional auf ihre Gesprächspartner mit niedrigerem Rang reagierten – womöglich weil sie weniger motiviert waren, emotional in diese zu investieren.

Macht verleihe ein Gefühl von Kontrolle und löse psychologische „Handlungsbremsen“, lautet die These der beiden Psychologen Brian E. Pike und Adam D. Galinsky. Es reiche aus, durchschnittliche Versuchsteilnehmer in Experimenten in Low-Power- (wenig Ressourcen) oder High-Power-Bedingungen (viele Ressourcen) zu bringen. Diejenigen, denen Macht und Ressourcen zugeteilt wurden, zeigten in solchen Experimenten weniger Angst zu scheitern. Sie glaubten auch, ihre Macht verringere den seelischen Schmerz des Versagens. Auch nahmen „die Mächtigen“ die sozialen Kosten ihres Handelns weniger wahr, schreiben Pike und Galinsky. Noch ein Vorteil: Studien ergaben, dass Menschen, die über Ressourcen für andere entscheiden, ihre persönlichen Ziele stärker im Blick haben und sich besser darauf konzentrieren können.

Emotional distanziert 

Macht hat aber auch einen Preis: Menschen mit Einfluss stellen eher Distanz zu anderen her, als dass sie Nähe suchen, erklärt der Psychologe Joe C. Magee von der Leonard N. Stern School of Business. Dies ist das Thema seiner social distance theory of power. Weil sie mehr Kontrolle haben, fühlen sich Menschen mit mehr Einfluss weiter entfernt von Menschen mit geringer Macht als umgekehrt. Sie tun das nicht einfach so: Mehr Distanz schütze Menschen mit Macht psychologisch gegen häufige Zurückweisung oder das Gefühl, abgelehnt zu werden, erläutert Magee.

Diese Distanz hat noch weitere Facetten. So habe sich gezeigt, dass Menschen mit Macht weniger auf die Bedürfnisse der Rangniedrigeren ausgerichtet seien als umgekehrt. Wenn Mächtigere weniger Einflussreichen Aufmerksamkeit schenken, driftet diese schneller wieder weg und zurück zu ihnen selbst – was Nähe zusätzlich erschwert. Viele einflussreiche Menschen übernehmen jedoch gern Verantwortung und wenn sie das tun, seien sie eher bereit, die Empfehlungen von anderen, auch rangniedrigeren Mitmenschen anzunehmen. Fordere man Einflussreiche ausdrücklich auf, die Perspektive weniger Mächtiger einzunehmen, zeigten sie mehr Respekt und Fairness – aber auch dabei entstehe kein Gefühl von mehr Nähe. Körperliche Nähe gar habe bei Menschen mit Macht wenig mit emotionaler Nähe zu tun, sondern könne eher ein Zeichen von Dominanz sein.

Quellen:

Brian E. Pike, Adam D. Galinsky: Power leads to action because it releases the psychological brakes on action

Emily M. Zitek, L. Taylor Phillips: Ease and control: the cognitive benefits of hierarchy

Joe C. Magee: Power and social distance

Gerben A. van Kleef, Jens Lange: Effects of power and status on emotional experience, expression, and responsiveness

Alle diese Artikel erschienen in: Current Opinion in Psychology 2020

Psychologie heute Oktober 2020

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