Nur wenige Menschen sind wirklich im falschen Beruf
In einem Artikel für die Zeitschrift „Wirtschaftspsychologie aktuell“ wagt sie folgende Einschätzung: „Von 100 Menschen, die in meine Praxis kommen, sind nur etwa drei bis fünf wirklich in einem falschen Beruf. Bei allen anderen liegen die Schwierigkeiten woanders.“ Oft seien es massive Selbstwertprobleme, ein zu hoher Leistungsanspruch oder Ängste, die Menschen beim Arbeiten ein so unangenehmes Gefühl geben, dass sie „nur noch raus wollen“.
Manche tragen sich auch vor allem deshalb mit Wechselwünschen, weil sie das Gefühl haben, den eigenen Job satt zuhaben. Im Coaching zeigt eine berufliche Standortbestimmung aber häufig nur, dass Klienten an ihrem Arbeitsplatz letztlich gut aufgehoben sind. „Natürlich sind wir manchmal gelangweilt und unzufrieden und sehen dann gar nicht, wie gut der eigene Arbeitsplatz zu uns passt“, sagt Svenja Hofert. Wer sich nicht sicher ist, ob er einfach nur ein bisschen genervt oder im falschen Job ist, dem rät sie, sich zu fragen, wie groß die Arbeitszufriedenheit auf einer Skala von eins bis zehn ist: „Wenn Menschen ‚sieben oder mehr‘ antworten, ist meine Erfahrung, dass sie nicht wirklich wechseln wollen und wohl auch nicht sollten.“
Dennoch gibt es immer einen Anteil Glücksritter, die einen festen Traumjob im Kopf haben, den sie anpacken wollen: ein Café oder einen Laden eröffnen, Wedding- und Eventplanung sind beliebte Ideen. Häufig genannt werden auch Coach, Heilpraktiker oder Trainer. Viele der Unternehmen werden auch wieder aufgegeben. Das hat vor allem damit zu tun, dass die Erwartungen an das Traumjob-Arbeitsfeld so gut wie nie mit der Realität übereinstimmen. Wer ein Café hat, verkauft nicht nur schöne Kuchen an nette Menschen, sondern muss auch abwaschen, früh aufstehen, einkaufen gehen – und verdient dabei oft nicht viel, sagt Hofert. Dazu kommt noch, dass eine erfolgreiche Selbständigkeit bestimmte Persönlichkeitsmerkmale wie Durchhaltevermögen, Selbstvertrauen und Verkaufstalent voraussetzt. Auch das wird von vielen Arbeitnehmern unterschätzt, die sich versuchsweise auf diesen Weg begeben.
Lebenslange berufliche Entwicklung
Dass wir heute im Laufe des Arbeitslebens immer wieder an Wendepunkte kommen, an denen wir berufliche Visionen abklopfen und überdenken, davon ist die Hamburger Coachin und Autorin Doris Hartmann überzeugt. In ihren Büchern beschäftigt sie sich mit beruflichen Entwicklungen über die Lebensspanne. Oft sind es äußere Anlässe wie Jobverlust, Umzug, eine Veränderung im Familienstatus wie eine Scheidung, die uns noch mal grundsätzlich über berufliche Fragen nachdenken lassen. Ihrer Meinung nach ist das legitim und richtig. Dennoch ist sie davon überzeugt, dass in verschiedenen Lebensaltern unterschiedlich große Veränderungen möglich beziehungsweise ratsam sind
Was ein Wechsel in welchem Lebensalter bedeutet:
30 bis 39 Jahre
- Ein Wechsel ist in diesem Alter meist eine Kurskorrektur. Diesen Veränderungswünschen nachzugehen ist häufig sinnvoll.
- Oft spielt eine Rolle, dass man berufliche Erwartungen der Eltern erfüllt hat und sich davon nun emanzipieren möchte.
- Es ist vieles noch offen: Branchen- und Tätigkeitswechsel sind manchmal durch Praktika und Quereinstiege möglich.
- Auch wenn Aus- oder Weiterbildungen nötig sind: Viele sind in der Lebenssituation und haben die Energie, Mehrarbeit und finanzielle Einbußen auf sich zu nehmen.
- Heirat und eigene Kinder sind oft Auslöser, neu über berufliche Positionen nachzudenken.
40 bis 49 Jahre
- Ein Alter, in dem sich viele Menschen vermehrt mit dem Thema „Sinn“ von Arbeit und Leben auseinandersetzen. Sie suchen Tätigkeiten, die den eigenen Werten entsprechen.
- Oft sucht und findet man eine neue Weichenstellung: Geht es in eine Führungsposition? In eine Fachkarriere? Passen Branchenwechsel oder Selbständigkeit?
- Da man schon viel Berufserfahrung hat, bietet es sich an, auch bei radikalen Wechseln in neue Berufsfelder bisherige Kompetenzen in die Waagschale zu werfen.
- Berufswechsel, für die ein ganz neues Studium oder eine andere Ausbildung nötig wären, sind möglich, aber oft mit hohen finanziellen und energetischen Kosten verbunden.
50 bis 59 Jahre
- In diesem Alter geht es um eine Planung und Gestaltung der letzten Phase der Berufstätigkeit. Häufig kommt die Frage auf, ob man noch ein zweites Standbein dazunimmt oder noch einen Karriereschritt in der bisherigen Laufbahn macht.
- Oftmals sind die Wendepunkte schmerzhaft: Viele, die in den Vierzigern den Wechsel nicht gewagt haben, probieren ihn jetzt, oft ist das nun aber schwieriger.
- Es passt trotzdem, jetzt auf Träume und Visionen zu hören. Noch stärker als in früheren Phasen ist dabei wichtig, neue Vorhaben mit dem bisherigen Berufsweg zu koppeln.
Geld ist nicht alles
Für viele Menschen ist Arbeit ein notwendiges Übel. Sie haben einen Job, damit sie ihre Miete bezahlen und ihren eigentlichen Interessen nachgehen können. Für andere Menschen ist ihr Beruf Berufung. Sie sind leidenschaftliche Putzfrauen, Pizzabäcker oder Proktologen. Nichts fürchten sie mehr als den Tag, an dem sie in Rente gehen müssen. Was unterscheidet zufriedene von unzufriedenen Angestellten? Das Gehalt ist es nicht, sagt Barry Schwartz, Psychologe am Swarthmore Collegein der Nähe von Philadelphia. Ein einfacher Tischler kann doppelt so glücklich sein wie der Manager einer Möbelfabrik, selbst wenn der Tischler nur halb so viel verdient. Wichtiger als Geld ist die Antwort auf die Frage nach dem Sinn des eigenen Tuns. Schwartz meint: Wer glaubt, mit seiner Arbeit die Welt zu verbessern, schätzt sie auch mehr. In seinem Buch „Why we work“ hat Schwartz Faktoren identifiziert, die einen Beruf zur Berufung werden lassen. Förderlich ist es demnach, wenn der Arbeitsalltag immer neue Herausforderungen bereithält. Zufriedene Lehrer, Unternehmensberater oder Fabrikarbeiter schätzen es, an Problemen zu wachsen. Leichter fällt dies, sagt Schwartz, wenn sie eigenständige Entscheidungen treffen können. Anders gesagt: Wenn der Chef jeden Handlungsschritt vorschreibt, lernt sein Untergebener wenig. Nicht zuletzt ist der Mensch ein soziales Wesen. Wer sich morgens voller Vorfreude auf den Weg ins Büro, in die Behörde oder die Fabrik macht, freut sich oft auch auf den Austausch mit Kunden und Kollegen.
Ist es ein Vorrecht der gesellschaftlichen Eliten, ihr Einkommen auf sinnvolle, herausfordernde, selbstbestimmte Art und Weise zu verdienen? Können nur Juristen, Ärzte und Professoren Freude an ihrer Tätigkeit empfinden? Beileibe nicht, sagt Barry Schwartz. Auch Portiers, Fabrikarbeiter und Callcenteragenten müssen nicht unzufrieden sein. Es kommt darauf an, was sie in ihrer Tätigkeit sehen und wie ihre Vorgesetzten diese organisieren.
Firmen können Arbeitsplätze so organisieren, dass sie abwechslungsreich sind und Angestellten die Möglichkeit zur Weiterentwicklung ihrer Fähigkeiten bieten. Und vielleicht am wichtigsten: Die Tätigkeit kann von den Arbeitnehmern als bedeutsam empfunden werden, indem sie mit dem Wohl anderer Menschen verknüpft wird. Das mag bei helfenden Berufen leichter nachzuvollziehen sein, ist aber grundsätzlich in vielen Feldern möglich.
Doch die Wirklichkeit ist eine andere. Viele Jobs sind so gestaltet, als würden Menschen ausschließlich für Geld arbeiten. Das Bild dahinter wurde von Denkern wie Adam Smith, dem Begründer der freien Marktwirtschaft, geprägt. Demnach handeln Arbeitnehmer nach einem rationalen Kalkül: Sie versuchen, den höchstmöglichen Lohn mit dem geringstmöglichen Aufwand zu erzielen – ein gutes Pferd springt nicht höher, als es muss. Diese Denkweise beeinflusse das Handeln von Unternehmern und Führungskräften, meint Barry Schwartz. Es äußere sich beispielsweise in Misstrauen gegenüber Untergebenen. Aber auf lange Sicht stünden Unternehmen mit zufriedenen Angestellten besser da als ihre Konkurrenten, sagt Schwartz. So seien die Marktführer in den verschiedensten Branchen überzufällig häufig jene Firmen, die ihre Angestellten gut behandeln.
Bleiben oder gehen?
Wenn Sie mit dem Gedanken spielen, sich beruflich weiterzuentwickeln, sollten Sie sich fragen, ob der Wechsel wirklich nötig ist – oder ob die Lösung doch woanders liegt. Notieren Sie am besten die Gründe, warum Sie dieses Gefühl haben.
6 gute Gründe für einen Wechsel:
- Die Firma hat finanzielle Schwierigkeiten, Gehälter werden nicht oder zu spät gezahlt.
- Das Zerwürfnis mit der direkten Führungskraft ist so eklatant, dass man auf keinen grünen Zweig mehr kommt.
- Die Ethik und Positionierung des Unternehmens passt in keiner Weise zu den eigenen Werten und Zielen.
- Es fehlen Kernkompetenzen, die für diese Arbeit nötig sind. Zum Beispiel wenn ein eher kreativ-chaotischer Mensch in einem Controllerjob landet, eine Ärztin kein Blut sehen kann etc.
- Es herrscht so viel Routine – mehr als 70 Prozent – dass man nur noch gelangweilt ist und das Gefühl hat, nichts mehr dazuzulernen.
- Die Arbeit führt zum Burnout oder zu ernsthaften körperlichen Krankheiten.
6 schlechte Gründe für einen Wechsel:
- Das Gefühl, ein anderer Job würde mehr „Spaß“ machen.
- Torschlusspanik: die Angst, jetzt noch mal etwas reißen zu müssen, bevor man zu alt ist.
- Diffuse Veränderungswünsche, zum Beispiel: „Irgendetwas im Leben muss anders werden“.
- Verärgerung, Frust, Kränkung durch einen Chef oder „die Firma“ und das daraus resultierende Gefühl, sofort alles ändern zu müssen.
- Die Idee, dass es im neuen Job keinerlei Probleme mit Kollegen, Chefs und engen Zeitplänen geben könnte.
- Ein Traumjob aus Kindertagen, nach dem man große Sehnsucht hat, ohne geprüft zu haben, ob er diesen Erwartungen standhält.
Testen statt träumen
Wer jahrelang von einem bestimmten Job träumt, dem empfehlen Karriereberater oft, diesen Beruf für eine Woche auszuprobieren. Ob man nun als Musikerin, Weinbauer oder auf dem Markt arbeiten will: Der Praxistest zeigt schnell, ob man für die jeweilige Tätigkeit geeignet ist – und ob diese Freude macht. Einige satteln danach tatsächlich um. Häufiger ist aber, dass Klienten komplett Abstand nehmen vom Traumjob, weil sie sich diesen ganz anders vorgestellt hatten.
Quellen:
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Barry Schwartz: Why we work. Simon & Schuster, New York 2015
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Doris Hartmann: Kurs auf Neues im Beruf: Wann wir Veränderungen brauchen und wie sie gelingen. Kreuz, Freiburg 2013
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Svenja Hofert: Was sind meine Stärken? Entdecke, was in dir steckt. Gabal, Offenbach 2016
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Psychologie heute 07/16