Der Korrektor, der überall Fehler sieht. Die Lehrerin, die mit Erwachsenen spricht, als wären sie Schüler. Der Polizist, der stets das Schlechteste von seinen Mitmenschen denkt. Sind das Klischees? Wie sehr prägt unser Beruf unsere Weltanschauungen, unser Verhalten, unsere Vorlieben? Kann er gar unsere Persönlichkeit verändern?
Viele von uns verbringen den größten Teil ihres wachen Alltags mit Arbeit. Dass uns das beeinflusst, scheint klar, allein schon, weil wir uns im Beruf neue Kenntnisse und Fertigkeiten aneignen. Unser Job macht uns also in einem bestimmten Bereich zu Experten. Und die sehen die Welt mit anderen, geschulteren Augen als Laien. Neben dem Wissen, das wir uns zwangsläufig aneignen, üben wir am Arbeitsplatz Tag für Tag bestimmte Verhaltensmuster ein. Darüber hinaus scheint es plausibel, dass diese mit der Zeit auch auf das Privatleben abfärben oder sich verselbstständigen können.
Die Persönlichkeit steckt auch in den Genen
Umstritten ist bislang, wie tiefgehend derartige Veränderungen sind. Berühren sie auch den Kern unseres Wesens, unsere Persönlichkeit? Diese galt lange Zeit als in Stein gemeißelt, Änderungen im Erwachsenenalter hielten viele Wissenschaftler für ausgeschlossen. Tatsächlich zeigen Studien, dass die Persönlichkeit eines Menschen zum Teil in den Genen festgelegt ist. Auf 50 bis 80 Prozent wird der Einfluss des Erbguts geschätzt. Im Umkehrschluss bedeutet es jedoch auch, dass die Persönlichkeitsunterschiede zwischen zwei Menschen bis zur Hälfte auf äußere Einflüsse zurückzuführen sind.
„Inzwischen wissen wir, dass sich die Persönlichkeit im Laufe des Lebens durchaus verändert – und zwar abhängig von den Erfahrungen, die wir machen“, erklärt die Psychologin Gundula Stoll. „Wir werden sicher nicht von heute auf morgen ganz andere. Und trotzdem wandeln wir uns mit den Rollen und Aufgaben, die wir übernehmen.“ Noch ist die Zahl belastbarer Studien, die diesen Zusammenhang belegen, überschaubar. An der Universität Tübingen, wo Gundula Stoll forscht, wurde vor einigen Jahren eine von ihnen durchgeführt. 1200 Gymnasiasten nahmen teil. In ihrem letzten Schuljahr absolvierten sie einen Test, mit dem sich fünf übergeordnete Persönlichkeitsmerkmale messen lassen. Zwei Jahre später wurde dieser Test wiederholt. In der Zwischenzeit hatten rund 1000 Teilnehmer ihren Zivildienst abgeleistet; der Rest hatte einen neunmonatigen Pflichtdienst bei der Bundeswehr absolviert.
Wir werden reifer
Im Schnitt waren alle Probanden in diesen zwei Jahren gewissenhafter, verträglicher und emotional stabiler geworden. Das weist auf einen altersabhängigen Reifeprozess hin, wie er auch in anderen Studien gefunden wurde. Allerdings: Die Werte der Soldaten in der Dimension „Verträglichkeit“ lagen beim zweiten Test insgesamt signifikant niedriger als die der Zivildienstleistenden. Das galt auch dann, wenn die Unterschiede, die bereits beim ersten Test bestanden hatten, herausgerechnet wurden. Verträgliche Menschen sind mitfühlend, kooperativ und bereit, in Konflikten auch mal einzulenken. Der Militärdienst scheint negativ auf diese Eigenschaften zu wirken – und zwar langfristig: Die gemessenen Veränderungen bestanden auch bei einer weiteren Testung vier Jahre später noch fort.
Ein Pflichtdienst ist etwas anderes als ein Beruf, könnte man einwenden. Das stimmt zwar, schmälert jedoch nicht unbedingt die Übertragbarkeit der Ergebnisse. Bei klassischen Arbeitsverhältnissen könnte die Prägung sogar noch stärker ausfallen. So haben zehn Jahre bei derselben Firma möglicherweise stärkere Auswirkungen als neun Monate beim Militär. Außerdem vermuten Experten wie Claudia Harzer, dass Menschen gerade dann von ihrer Arbeit geformt werden, wenn sie sich stark mit ihr identifizieren. Das dürfte bei einer frei gewählten Tätigkeit häufiger der Fall sein als bei der früher noch verpflichtenden Entscheidung zwischen Bundeswehr und Zivildienst.
Persönlichkeit prägt Berufswahl
Die Studie offenbart noch einen zweiten wichtigen Zusammenhang: Die Entscheidung pro oder contra Bundeswehr hing deutlich von der Persönlichkeit der jungen Männer ab. Jene, die zum Bund gingen, waren bereits in der Schule weniger verträglich und offen als Gleichaltrige, die den Ersatzdienst wählten. „Wir suchen uns gerne Berufe aus, die zu unseren Einstellungen und Fähigkeiten passen“, sagt Gundula Stoll. Experten sprechen von „Selbstselektion“, wobei bei der Berufswahl auch Faktoren eine wichtige Rolle spielen, die nicht in unserer Persönlichkeit begründet liegen.
Überraschend ist dieser Befund nicht. Er zeigt aber, dass man mit kausalen Erklärungen vorsichtig sein sollte. Wenn beispielsweise eine Studie ergäbe, dass Polizisten im Schnitt misstrauischer und autoritärer sind als andere Berufsgruppen, wüsste man damit noch lange nichts über das Warum: Ist Misstrauen eine Folge des Polizeiberufs oder fühlen sich misstrauische und autoritäre Personen einfach besonders zum Polizeidienst hingezogen oder aber wählt der Polizeiapparat bevorzugt Bewerber aus, die diese Eigenschaften mit sich bringen?
Vielleicht gibt es sie ja tatsächlich, die „typischen“ Polizisten, Anwälte oder Lehrer. Das bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass sie durch ihren Job so geworden sind. Stattdessen spricht viel dafür, dass dabei mehrere Mechanismen zusammenwirken. Aufklären lassen sich diese Zusammenhänge nur, indem man die Persönlichkeitsentwicklung von Menschen über Jahre oder gar Jahrzehnte beobachtet und gleichzeitig wichtige Ereignisse in ihrem Leben protokolliert. Eine solche Studie startete vor 45 Jahren in Dunedin auf der Südinsel Neuseelands. Im dortigen Queen-Mary-Krankenhaus wurden innerhalb eines Jahres 1037 Jungen und Mädchen geboren, deren Lebensweg seitdem wissenschaftlich begleitet wird. Alle paar Jahre werden unter anderem ihre Lebensumstände erfasst, also etwa ihr schulischer und beruflicher Werdegang, und regelmäßig durch Persönlichkeitsmessungen ergänzt.
Wir finden den Job, der zu uns passt
Die Ergebnisse dieser Messungen bestätigen unter anderem die zentrale Erkenntnis der Tübinger Wehrdienststudie – nämlich dass der Zusammenhang zwischen beruflicher Tätigkeit und Persönlichkeit keine Einbahnstraße ist. Das zeigt etwa eine Analyse von Dunedin-Daten, die Psychologen um Brent Roberts durchgeführt haben. Sie konnten einerseits nachweisen, dass das Naturell darüber mitentscheidet, welchen Berufsweg Menschen einschlagen. Wer etwa mit 18 überdurchschnittlich sozial dominant ist, bekleidet mit 26 häufiger eine Führungsposition. Andererseits ändern die beruflichen Erfahrungen aber auch bestimmte Persönlichkeitseigenschaften: Wer in jungen Jahren eine leitende Position erklimmt, wird dadurch auch sozial dominanter.
Wir finden also einen Job, der zu unseren Wesenszügen passt, und ebendiese werden dann durch unsere Arbeit weiter verstärkt. Es dürfte eher selten so sein, dass jemand einen Beruf ausübt, der gar nicht seinem Wesen entspricht – zumindest nicht über eine Zeit, die lang genug wäre, dass er durch diesen Beruf verändert wird. Das erklärt natürlich, warum durch die Arbeit vor allem diejenigen Eigenschaften gefestigt werden, die ohnehin schon da waren.
Anders gesagt: Möglicherweise könnte uns ein unpassender Job sehr wohl zu anderen machen – wenn wir es nur lange genug in ihm aushielten.
Verbiegen funktioniert nicht
In einem Punkt jedoch stimmen die meisten Wissenschaftler überein. Wenn wir uns am Arbeitsplatz komplett verbiegen müssen, machen wir das in der Regel nicht lange mit. Entweder gelingt es uns, die Schwerpunkte innerhalb unseres Jobs zu verschieben und uns so eine passende Nische zu schaffen – oder wir gehen.
Wenn wir den Beruf wechseln, dann meistens zugunsten eines Jobs, der besser zu uns passt. Der niederländische Psychologe Jaap Denissen hat diesen Zusammenhang kürzlich an einer umfangreichen Stichprobe zeigen können. Die Analyse bestätigt zum einen den bereits erwähnten „Selbstselektionseffekt“. Die Probanden hatten in der Regel einen Job, der ihrem Wesen entsprach. Verträgliche Menschen arbeiteten also beispielsweise häufiger als Priester als in einem Beruf, in dem dieser Charakterzug nicht vonnöten ist. Aufschlussreich ist zudem der Blick auf diejenigen, die ihre Stelle im Erhebungszeitraum gewechselt hatten. Ihr neuer Beruf passte im Schnitt besser zu ihrer Persönlichkeit als der alte.
Was beeinflusst unsere Berufswahl?
Starke Vorbilder, ein unbewusster Auftrag, Geschlecht oder Bildungsgrad? Bei unserer Entscheidung für einen Beruf spielen vielfältige Faktoren eine Rolle. Dass der Nachwuchs in die Fußstapfen seiner Eltern tritt, ist ein altbekanntes Phänomen. Wissenschaftler sprechen auch von „beruflicher Vererbung“ (occupational inheritance). Gründe dafür gibt es einige. So bekommen viele Kinder von klein auf einen Einblick in die Berufsfelder, in denen Vater oder Mutter tätig sind. Sie können diese Tätigkeiten also besser einschätzen als andere, von denen sie womöglich nur ungefähre Vorstellungen haben. Wer sich bei einer Entscheidung unsicher ist, tendiert oft zu der Alternative, die er am besten kennt.
Möglicherweise fördern Eltern bei ihren Kindern zudem vorwiegend solche Interessen, die sie selbst teilen, allein schon dadurch, dass sie ihnen die Möglichkeit geben, bestimmte Erfahrungen zu machen. Die Biologin besorgt ihrem Sohn ein Terrarium, der Deutschlehrer sorgt dafür, dass der Nachschub an Kinderbüchern nie versiegt, und der Kfz-Mechaniker lässt seine Kinder beim Ölwechsel helfen. Wer schon mal mit Lego gespielt hat, merkt schnell, ob ihm das Spaß macht. Wer dagegen noch nie mit einer Tätigkeit in Berührung gekommen ist, weiß oft gar nicht, dass sie ihm gefallen könnte.
Mitunter erteilen Eltern ihren Kindern sogar eine Art versteckten Auftrag – wenn sie beispielsweise selbst nicht den ersehnten Traumberuf ergreifen konnten, das nun aber stellvertretend von Sohn oder Tochter erwarten. Auch haben schon Kinder sehr genaue Vorstellungen davon, welche Berufe eher für Mädchen und welche für Jungen geeignet sind. Die Eltern wirken hier als Vorbilder: Wenn etwa Mütter in Männerberufen arbeiten, entwickeln ihre Töchter seltener Interessen, die als frauentypisch gelten.
Eine wichtige Rolle spielt auch das soziale Umfeld. Oberschichtkinder hegen im Schnitt ehrgeizigere Berufspläne als solche aus ärmlicheren Verhältnissen. Und nicht nur das. Sie erwarten auch eher, dass sie ihre hochgesteckten Karriereziele erreichen werden.
Welchen Job wir wählen, hängt also von frühester Kindheit an von verschiedensten Faktoren ab. Experten sprechen auch von einer „Sozialisation für den Beruf“, im Gegensatz zur „Sozialisation durch den Beruf“ – die beschreibt, wie die Arbeit auf unsere Persönlichkeit wirkt. Allerdings können wir uns von diesen Einflüssen auch emanzipieren, wie eine aktuelle Untersuchung aus der Schweiz zeigt. Demnach ergreifen Lehrerkinder zwar als Erwachsene öfter den Lehrerberuf. Im Laufe ihrer Karriere wechseln sie dann aber häufiger in einen anderen Tätigkeitsbereich. Wer seinen Job hauptsächlich deshalb wählt, weil Mutter oder Vater ihn auch ausüben, muss mit der Zeit eben möglicherweise feststellen, dass er doch nicht der passende ist – und wechselt dann, wenn möglich.
Quellen
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