Kritik: Vom Umgang mit negativem Feedback

Wer kennt das nicht? Das neue Jahr hat begonnen und die Zielerreichungs- bzw. Zielvereinbarungsgespräche, die schon Ende letzten Jahres hätten geführt werden sollen, haben noch immer nicht stattgefunden. Aber so langsam macht die Personalabteilung Druck, da die Ergebnisse der Gespräche in vielen Fällen auch der Bonuszahlung zu Grunde liegen. So zumindest die offizielle Version. Aber warum scheint es für viele Führungskräfte so schwierig zu sein, Mitarbeitergespräche zu führen? Gerne hört man in diesem Zusammenhang schon mal: „Ich kritisiere nicht gerne, weil ich auch nicht kritisiert werden will“.

Kritik will im Grunde keiner hören, selbst wenn er/sie das Gegenteil behauptet. Im günstigsten Fall ist sie lästig, im schlimmsten Fall unterminiert sie un­sere Identität oder gefährdet sogar un­sere Integrität. Gibt es überhaupt eine richtige Methode, andere zu kritisieren? Dabei ist negatives Feedback, Kritik also, unverzichtbar. Es mag paradox klingen, aber nur Kritik hilft uns, das Leben zu bewältigen und  zu ordnen. Ohne Kritik könnten wir keine sozialen Beziehungen aufbauen und aufrechterhalten. Ein Großteil un­serer persönlichen Entwicklung wird von Erfahrungen bestimmt, die sich eher schlecht anfühlen. Tatsächlich hängt so viel unseres Ler­nens und Lebens von kritischen Rückmeldungen ab, dass man denken sollte, wir hätten mittlerweile gelernt, gut damit umzugehen. Stattdessen fühlt sich Kritik fast immer feindselig, grob oder überzogen an. Ange­stellte und Arbeitgeber erklären glei­chermaßen, dass sie Leistungsbewer­tungen hassen, und Paare brauchen ei­nen Coach oder Therapeuten, damit sie sich endlich schwierige Wahrheiten ins Gesicht sagen können.

Die psychologische Sicht

Aus psychologischer Sicht stellt Kritik, als Kommunikation über Probleme, eine unverzichtbare Voraussetzung dafür dar, dass Probleme behoben werden können. Da niemand seine Handlungen gern in Frage gestellt sieht, wird sie vom Empfänger meist als unangenehm empfunden. Umgekehrt erteilen Menschen auch ungern Kritik, weil sie wissen, dass diese kaum willkommen ist. Die erlernte Fähigkeit, Kritik nicht als Angriff gegen die eigene Person, sondern als nützlichen Hinweis für Handlungsverbesserungen aufzunehmen, und die erlernte Fähigkeit, Kritik so zu üben und zu formulieren, dass sie, anstatt zu kränken, im Gegenteil motiviert, wird als Kritikkompetenz bezeichnet. Sie gilt somit als eine Komponente der allgemeineren sozialen Kompetenzen.

Die neurologische Sicht 

Es ist fast, als wäre unser Gehirn darauf getrimmt, Kritik und negative Rückmel­dungen in jeder Gestalt und in jeder Verpackung zu wittern. Und tatsächlich ist es dazu in der La­ge. Es ist nachgewiesen, dass bestimm­te Hirnregionen sich mit negativen In­formationen auseinandersetzen und dabei sehr viel sensibler reagieren als diejenigen, die sich mit positiver Resonanz beschäftigen. Belege für diese Ne­gativausrichtung (negativity bias) tauch­ten vor ca. 20 Jahren zum ersten Mal in Experimenten auf. Sie zeigten, dass Menschen bei anderen die Fehler stärker bewerten als deren positive Eigenschaf­ten. In gleicher Weise beeindrucken uns Verluste bei finanziellen Spekulationen stärker als Gewinne. John Cacioppo, Neuropsychologe an der Universität von Chicago, konnte zeigen, dass elektrische Aktivitäten in unserem Gehirn bei ne­gativen Stimuli heftiger ausfallen als bei ebenso starken positiven. ,,Die meisten Menschen reagieren stärker auf Schlech­tes als auf Gutes“, sagt Cacioppo. Diese Negativausrichtung kann un­sere Interpretation von kritischem Feed­back ernsthaft verzerren. Wie Cacioppo erklärt, ist unser Ge­hirn so vernetzt, dass eine Bitte nach mehr Informationen entwe­der als gut oder schlecht ausgelegt wird und es wählt gewöhnlich die schlechtere Variante: ,,Wir  vereinfachen die Welt, indem wir sie bipolar, schwarz oder weiß betrachten“.

Die evolutionäre Sicht

„In unserer Gesellschaft sind wir bemerkenswert inkompetent darin, unsere Wirkung auf andere einschätzen zu können. Folglich fällt es uns auch sehr, sehr schwer, ein negatives Feedback gut zu vermitteln (Sutton, R., 2010). „Menschen reagieren fast immer heftig auf Kritik, egal wie sie serviert wird. Herzrasen, Muskelanspannung, steigender Blutdruck: Ein alter „Kämpf­- oder Stirb-Reflex“ meldet sich, ein archa­ischer Gruß unseres Nervensystems. Die Wurzel unserer Kritikempfindlichkeit ist die Angst vor Ausgrenzung oder dem Verlust von Zugehörigkeit, die wiederum an die Angst um unser physisches Überleben gekoppelt ist, wie Peter Gray behauptet, Psychologe am Boston- College. Natürlich ist es auf den ersten­ Blick nicht wirklich lebensbedrohlich, wenn wir bei der Arbeit einen Rüffel einstecken oder bei einem Fußball­piel nach drei Fehlpässen auf der Ersatzbank Platz nehmen müssen. Aber wir sollten uns vergegenwärtigen, dass der Einzelne außerhalb der Gemeinschaft von Jägern und Sammlern­ einst tatsächlich nur schwer über­leben konnte. Das ist auch heute noch in unseren Köpfen verankert. Isola­tion oder Verbannung war damals eine realistische Gefahr – und sie ist es im Grunde­ auch heute noch. In einem sehr realen­ Sinn halten uns unsere sozialen Verbindungen am Leben, auch wenn die menschlichen Beziehungen in der Ge­genwart eher übers Internet oder beim gemeinsamen Espresso geregelt werden. Was also am negativen Feedback am meisten schmerzt, ist nicht so sehr der offenkundige Inhalt der Botschaft, son­dern die für uns latente Gefahr des Aus­geschlossen- und Verlassenwerdens. Die Ächtung, die in der Botschaft mit­schwingt, macht uns nervös.

Tipps zum besseren Umgang mit negativem Feedback

1. Inklusive Feedbackgespräche führen

Wenn wir erkennen, dass die Angst vor dem Nicht-mehr-Dazugehören das eigentlich Schreckliche an der Kritik ist, lernen wir möglicherweise, sie besser zu kommunizieren. Beispielsweise können wir Feedbackgespräche „inklusiv“ ge­stalten und nicht „exklusiv“, also mit dem Unterton: ,,Du bist raus!“. Ein kritisches Gespräch mit einer Fra­ge zu beginnen, hilft dem Angesproche­nen, Kritik entgegenzunehmen und sich in dem anstehenden Prozess beteiligt oder integriert zu fühlen. Wenn man mit einem Studenten über dessen Leis­tung spricht, könnte man zunächst fra­gen: ,,Was sind deine Ziele für diesen Kurs? Was möchtest du von mir lernen? Wie glaubst du, kommst du bisher vo­ran?“

2. Als Feedbackgeber selbst nach Feedback fragen

Wer selbst nach Feedback fragt, betont, dass das Gegenüber ein(e) Partner/-in in dieser Konversation ist und nicht das „Opfer“. ,,Als Chef kann man sagen: Ist das, was ich dir vermittle, nützlich für dich? Oder: Was brauchst du noch von mir?“, meint der Organisationspsycho­loge Samuel Culbert. Angesichts der Tatsache, dass ein ne­gatives Feedback immer spannungsge­laden ist, erscheint es bemerkenswert, wie gut es funktionieren kann, wenn es richtig vermittelt wird. Peter Gray würde diesen Punkt un­terstreichen, denn er hat in seiner jahr­zehntelangen Analyse von Bildungssys­temen die Bedeutung des negativen Feedbacks in vielen unterschiedlichen Kontexten beobachten können. Der konstruktivste Austausch, so berichtet er, sei immer der, der vom Lernenden selbst angeregt wird, etwa wenn er einen Lehrer, Mentor oder erfahreneren Kollegen um Rat und Hilfe bittet. Kritik wird viel besser angenommen, wenn sie ausdrücklich gefordert wird. Es liegt wohl in der menschlichen Na­tur, kein unverlangtes negatives Feed­back, eigentlich überhaupt keine unerbetenen Ratschläge erhalten zu wollen. Wir wollen keine Kritik an uns hören, es sei denn, wir sind ausdrücklich bereit zuzuhören. Nehmen wir den „hilfreichen“ Kol­legen, der uns über die Schulter blickt und uns Computertipps gibt, nach de­nen wir nicht gefragt haben. Sie kennen den Typ: ,,Ich habe gesehen, dass du für diese Aufgabe zehn Klicks brauchst. Mit einem Makro bräuchtest du nur zwei. Soll ich’s dir zeigen?“ Auch wenn der Vorschlag Ihnen am Ende Zeit und Är­ger erspart – selbst wenn der Besserwis­ser wirklich recht hat – wirkt sein guter Rat wie ein feindlicher Ein­griff. Denn er korrigiert eine unserer Gewohnheiten, er wird über­griffig. Für genau denselben Ratschlag wären wir ihm ewig dankbar, wenn wir darum gebeten hätten.

3. Eine Frage der Autorität

Ein weiteres verbreitetes Problem, das mit negativem Feedback zusammenhängt: Es kommt oft von Menschen, die wir gar nicht als quali­fiziert dafür ansehen. Fragen wir jeman­den nach seiner Meinung, schreiben wir derjenigen Person explizit die Rolle des Experten zu – von dem wir uns notfalls auch kritisieren lassen. Wenn der Lehrer seinen Schüler benotet und ermutigt, wenn der Trainer aufmuntert und über den Fehlpass schimpft, wenn Eltern über die Schritte ihrer Kinder mit Sorge und Zuwendung wachen – dann liegt alldem das stillschweigende Einverständnis zu­ Grunde, dass Lob und kritische Korrek­tur Teil der Beziehung sind. Unerwünschtes Feedback kommt je­doch oft von Menschen, denen wir we­der Qualifikation noch Berechtigung zuschreiben. Vielen Stiefeltern ergeht es so. Sie haben es schwer, dieselbe Autorität wie der natürliche El­ternteil auszuüben, wenn es um Haus­aufgaben, Manieren oder den Umgang mit Gleichaltrigen geht. Ein Kind mag die Bitten oder Zurechtweisungen der eigenen Mutter akzeptierten, es rebel­liert aber bei den gleichen Korrektur­vorschlägen des Stiefvaters. Dieses ty­pische Problem moderner Patchwork­familien kann in der Regel nur dann gelöst werden, wenn der natürliche Elternteil dem Partner seine Autorität leiht und ihm beispringt. Bei der Arbeit stößt unerbetenes Feed­back oft deshalb auf Ablehnung, weil dem Kritiker unterstellt wird, er maße sich eine Autorität an, die ihm nicht zu­ steht. Unverlangtes Feedback wird dann auch als eine Taktik im Machtspiel ver­standen – was gerade unter gleichgestell­ten Kollegen schnell zu Verstimmungen führt. Selbst ein Kompliment kann dann problematisch wirken, denn Lob auszu­sprechen ist in der Regel eine Sache von Vorgesetzten oder Chefs. Besondere Sensibilität für Hierarchi­en und die Legitimität von Autorität ge­hört zur evolutionären Grundausstat­tung der menschlichen Psyche. Auch und gerade in der modernen Arbeitswelt geht es darum, mit anderen zu konkur­rieren und ihnen gegenüber den eigenen Status zu festigen oder zu verbessern. Die Kritik unter prinzipiell Gleichran­gigen – seien es Kollegen, Freunde, Part­ner oder Geschwister – steht also immer unter Strom.

4. Ausdruck von Enttäuschung vermitteln

Der Ausdruck von Enttäuschung beim Kritiker zieht den Empfänger der Botschaft am wahrscheinlichsten in ei­ne konstruktive Diskussion. Die Entwicklungspsychologin Eveline Crone von der niederländischen Universität Leiden bezieht sich bei dieser Einschät­zung auf Forschungsergebnisse, die zei­gen, dass eine „wütende“ Konfrontation bei Menschen Selbstschutz und „Zuma­chen“ provoziert, wohingegen der Aus­druck von Enttäuschung die Konzentration auf den Sprecher oder die Gruppe­ lenkt. Dieser empirische Befund ist ein gu­tes Argument dafür, Kritik nicht vor­zutragen, wenn man selbst (noch) verärgert ist. Der Ärger treibt unvermeid­lich einen Keil zwischen Überbringer und Zuhörer, unabhängig von Inhalten oder Absichten.

5. Adressat vor Augen führen

Es hilft auch zu wissen, zu wem man spricht. Menschen reagieren sehr unterschiedlich auf Kritik. Narzissten verste­hen sogar die mildeste Kritik als persönlichen Angriff. Bei unsicheren Menschen hingegen kann das komplette Selbstvertrauen verlorengehen. Es gibt aber auch einige wenige Individuen, die bei Feedback jeglicher Art aufblühen. Sie betrachten ihre Fähigkeiten prinzipi­ell als verbesserbar und formbar und sehen Feedback deshalb nicht als „Urteil ohne Revision“, sondern als Chance, an sich zu arbeiten. Sehr junge Menschen haben vermut­lich noch nicht die notwendigen neuro­logischen Voraussetzungen, um negati­ves Feedback nutzen zu können. Die Gehirnregionen, die auf negatives Feedback reagieren und für Leistungs­anpassungen wesentlich sind, werden erst im frühen Erwachsenenalter voll funktionsfähig.

Fazit

Ganz egal, wie Kritik serviert wird: Verteidigung ist die natürliche erste Re­aktion auf negatives Feedback. Erwarten Sie von sich oder jeder anderen Person keine Heldentaten. Aber ohne wertschätzendes, wenn auch kritisches Feedback ist persönliches Wachstum und/oder Veränderung nicht möglich.

Wenn Sie also der Emp­fänger sind, holen Sie tief Luft, es wird vermutlich wehtun. Versuchen Sie, nicht zu viel zu reden. Lehnen Sie sich statt­ dessen zurück und lernen Sie. Feedback „konfrontiert Sie mit sich selbst, weshalb es zugleich unglaublich unangenehm und außergewöhnlich wertvoll ist“, schreibt der Unternehmensberater Peter Bregman in der Harvard Business Re­view. ,,Es kann ein immens wichtiges Geschenk sein, ein Rezept dafür, wie wir in dieser Welt etwas bewirken können.“ Wenn Sie negatives Feedback erhalten, gehen Sie davon aus, dass es angebracht sein könnte. Und wenn Sie der Überbringer sind: Seien Sie bereit, sich zu ducken.

Quellen
  • Bregman, P. (2014): „How to Ask for Feedback That Will Actually Help You„, Harvard Business Review (01.12.2014),

  • Cacioppo, J. T., & Patrick, W. (2008). „Loneliness: Human nature and the need for social connection“. New York, NY,

  • Culbert, S. (2010): „Get Rid of the Performance Review!: How Companies Can Stop Intimidating, Start Managing–and Focus on What Really Matters“, Business Plus Verlag, (14. April 2010)
  • Crone, E. et al.: „Strategies influence neural activity for feedback learning across child and adolescent development“. Neuropsychologia. 10.1016/j.neuropsychologia.2014.07.006.
  • Gray, P. (2017): „This View of Business: How Evolutionary Thinking Can Transform the Workplace“, https://evolution-institute.org/publications/special-reports/
  • Sutton, R. (2010): „The No Asshole Rule: Building a Civilized Workplace and Surviving One That Isn’t“, Piatkus Verlag (2. Dezember 2010)

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