„Der Beginn der Weisheit, ist die Definition der Begriffe“, wusste schon der griechische Philosoph Sokrates (470-300 v. Chr.). Wie aktuell diese Aussauge auch heute noch ist, zeigen die im letzten Artikel berichteten Ergebnisse meiner Forschungsarbeit zum Thema Digitalisierung im Bankensektor. Darin wurde neben der Frage nach dem einheitlichen Verständnis des Begriffs Digitalisierung auch erforscht, welche Kontrollaspekte das Stressempfinden von Mitarbeitern im Bankensektor aufgrund der Digitalisierung positiv bzw. negativ beeinflussen. Immerhin bringt die Digitalisierung auch Erleichterungen mit sich.
Kurzer theoretischer Hintergrund
Auf theoretischer Ebene lässt sich sagen, dass im Laufe der letzten Jahrzehnte unzählige Untersuchungen zu arbeitsbedingten Stressoren und deren Auswirkungen auf das subjektive Stressempfinden durchgeführt und ebenso zahlreiche Konzepte und Theorien formuliert wurden. Eines der bedeutendsten theoretischen Modelle zu arbeitsbedingten Stressoren und deren Auswirkungen auf das subjektive Stressempfinden ist das Anforderungs-Kontroll-Modell von Karasek (1979), welches von einem Zusammenhang zwischen der Höhe der Arbeitsanforderungen und Stressempfinden – in Abhängigkeit des Ausmaßes der Kontrolle – ausgeht. Demnach führen hohe Arbeitsanforderungen mit geringen Kontrollmöglichkeiten, im Sinne von Handlungs- und Entscheidungsspielräumen, zu Stress. Auch unabhängig von Karaseks Modell kann Kontrolle als eines der Schlagworte genannt werden, das bis heute häufig in der Arbeitsstressforschung zu finden ist (Landy & Conte, 2010).
Ähnliche Ergebnisse zeigen erste Studien u.a. von Cachelin (2012) oder Riedl et al. (2012) zum Thema Technostress – eine Form des Phänomens Stress – welcher durch Technologie hervorgerufen und insbesondere aufgrund der Veränderungen im Rahmen der Digitalen Transformation entstehen kann. Dabei hat diese Forschungsrichtung eine große Anzahl an informations- und kommunikationstechnologiebezogenen Stressoren identifiziert hat, die zu Stresswahrnehmungen bei Benutzern führen“ (Riedl et al., 2012)
Parameter der Forschungsarbeit
(1) Digitalisierungsgrad
Dem Modell von Karasek (1979) folgend, wurden hohe Arbeitsanforderungen mit einem hohen Ausmaß an Veränderungen aufgrund der Digitalisierung (= hoher Digitalisierungsgrad) gleichgesetzt.
(2) Kontrolle
Ähnlich wie Karasek (1979) und Häuser et al. (2011) geht auch Greif davon aus, dass Kontrolle ein entscheidender Faktor in Bezug auf Stressempfinden ist. Dabei verstehen Häuser et al. (2011) unter Kontrollmöglichkeiten u.a. Handlungs- und Entscheidungsspielräume, die nur wahrgenommen werden können, wenn Menschen über ein entsprechendes Wissen über Handlungs- und Entscheidungsmöglichkeiten verfügen. Vor diesem Hintergrund wurde im Rahmen meiner Arbeit Kontrolle wie folgt definiert:
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- Das Wissen über aktuelle Herausforderungen im Bankensektor aufgrund der Digitalen Transformation.
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- Das Ausmaß an Information über die Veränderungen im Rahmen der Digitalen Transformation durch den Arbeitgeber.
- Das Ausmaß des persönlichen Einflusses auf die Veränderungen im Rahmen der Digitalen Transformation.
Demnach sollten ein hoher Digitalisierungsgrad bei geringen Kontrollmöglichkeiten, wie beispielsweise einem geringen persönlichen Einfluss auf die Veränderungen im Rahmen der Digitalen Transformation (3), fehlende Information über die bevorstehenden Veränderungen durch den Arbeitgeber (2) oder ein geringer Wissensstand über die für das Arbeitsumfeld zentralen Themen im Rahmen der Digitalen Transformation (1), zu erhöhten Stressempfinden führen.
Ergebnisse
(1) Kontrolle aufgrund von persönlichem Wissen über die Herausforderungen der Digitalen Transformation
Theoriegeleitet wird angenommen, dass höheres Probandenwissen über die Veränderungen der Digitalen Transformation (= Kontrollmöglichkeit 1) bei einem höheren Digitalisierungsgrad zu niedrigerem Stressempfinden führen. Es zeigte sich, dass Wissen über bevorstehende Veränderungen im Rahmen der Digitalen Transformation ein vermittelnder Kontrollaspekt zwischen Digitalisierungsgrad und Stressempfinden sein kann.
(2) Kontrolle aufgrund des Ausmaßes an Information über die Veränderungen der Digitalen Transformation durch den Arbeitgeber
Auch sollte ein höheres Ausmaß an Information des Arbeitgebers über die Veränderungen der Digitalen Transformation (= Kontrollmöglichkeit 2) stressmindernd wirken. Hier zeigte sich ein eher heterogenes Bild. Das Ausmaß an Information durch den Arbeitgeber scheint kein vermittelnder Faktor im Hinblick auf Stressempfinden zu sein.
(3) Kontrolle aufgrund des persönlichen Einflusses auf die Veränderungen der Digitalen Transformation
Schließlich wurde angenommen, dass höherer persönlicher Einfluss auf die Veränderungen der Digitalen Transformation trotz höherem Digitalisierungsgrad zu niedrigerem Stressempfinden führen. Ähnlich wie das Wissen über bevorstehende Veränderungen im Rahmen der Digitalen Transformation scheint auch das Ausmaß an persönlichen Einfluss ein vermittelnder Kontrollaspekt zwischen Digitalisierungsgrad und Stressempfinden zu sein. Im Umkehrschluss berichteten Probanden mit dem geringsten Kontrollempfinden überdurchschnittlich hohes Stressempfinden.
Zusammenfassung
Die Ergebnisse der Forschungsarbeit deuten darauf hin, dass die einfache Kommunikation von Informationen durch den Arbeitgeber, wie beispielsweise die Definition von Digitalisierung im Bankensektor, nicht ausreicht, damit Mitarbeiter/-innen sich nicht so stark gestresst fühlen. Vielleicht ist das fehlende Grundverständnis beim Thema Digitalisierung hier ursächlich, dass zur Verfügung gestellte Informationen durch den Arbeitgeber nicht entsprechend stressmindernd wirken. Denn überraschenderweise gaben Probanden überproportional häufig auf die Frage, was der Arbeitgeber tun kann, um das Stressempfinden aufgrund der Veränderungen durch die Digitale Transformation zu reduzieren, an, der Arbeitgeber solle besser über diese informieren und Entscheidungen in diesem Zusammenhang transparenter machen. Und dass, obwohl das Ausmaß an Information durch den Arbeitgeber von allen Probanden als hoch eingestuft wurde. Information der Information willen scheint hier nicht die Lösung zu sein, wenn das Grundverständnis fehlt.
Oder lässt sich die Erkenntnis der Forschungsarbeit, dass die reine Information des Arbeitgebers über die Veränderungen der Digitalen Transformation nicht deutlich stressmindernd wirken dadurch erklären, dass Information nicht gleich Wissen ist? Während Informationen Kenntnisse über Sachverhalte darstellen, beschreibt Wissen gesammelte Informationen, über einen bestimmten Sachverhalt. Die Kenntnisse über diesen Sachverhalt ermöglichen es, fundierte Entscheidungen zu treffen und Probleme zu lösen. Somit beeinflusst Wissen das Denken und Handeln von Menschen (Mies, 2017). Zumindest spiegeln dies auch die Ergebnisse im Rahmen der Forschungsarbeit im Hinblick auf den Kontrollaspekt des Probandenwissens wider, wonach ein höheres Ausmaß an Wissen einer Person tendenziell stressmindernd wirkt, wohingegen dies auf das Ausmaß an Information durch den Arbeitgeber nicht im gleichen Maße zutrifft. Die einfache Information ist also nicht ausreichend, sie muss verarbeitet, verknüpft und gespeichert werden, um zu Wissen zu werden und so Kontrollempfinden zu vermitteln. Für die Arbeitspraxis bedeutet dies, dass der Wunsch der Probanden nach mehr Information durch den Arbeitgeber nur dann sinnvoll umgesetzt werden kann, wenn diese Informationen auch zu Wissenssteigerung führen. Die Mitarbeiter/-innen mit allen vorhandenen Informationen zu überschütten, wie dies ja von Probanden gewünscht wurde, scheint eher kontraproduktiv zu sein, vielmehr sollten Informationen so präsentiert werden, dass Menschen sich mit diesen auseinandersetzten möchten, sie verarbeiten und in einen Gesamtkontext bringen können, sprich: Wissen generieren.
Wie Häuser et al. (2011) konstatieren, ist wiederum Wissen die Voraussetzung zur Wahrnehmung von Kontrollmöglichkeiten. Dementsprechend ist Wissen also die Voraussetzung für persönlichen Einfluss. Denn ohne Wissen über das, was man beeinflussen möchte, scheint Einflussnahme nur schwer vorstellbar. So wundert es nicht, dass es sich bei den Probanden, deren Ergebnisse alle Annahmen am deutlichsten stützten, um leitende Führungskräfte handelte. Während sie ein ähnliches Ausmaß an Information durch den Arbeitgeber im Hinblick auf die Veränderungen der Digitalen Transformation angaben, berichteten sie im Gegensatz dazu ein weit überdurchschnittliches Probandenwissen sowie einen weit überdurchschnittlichen persönlichen Einfluss, der sicherlich auch darin begründet liegt, dass ihr persönlicher Einfluss auf die Veränderungen im Unternehmen qua definitionem größer ist, als der eines Mitarbeiters/einer Mitarbeiterin in nicht leitender Funktion. So zeigen die Ergebnisse im Rahmen der Forschungsarbeit insbesondere, dass persönlicher Einfluss eine vermittelnde Funktion zwischen Anforderungen aufgrund der Veränderungen durch die Digitale Transformation und Stressempfinden darstellt.
Für die Praxis der Bankenwelt bedeutet dies konkret, dass Mitarbeitern/-innen – soweit möglich – neben einer zielgruppengerechten, zeitnahen und transparenten Information auch mehr persönliche Einflussmöglichkeiten eingeräumt werden sollten. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch der Hirnforscher Gerald Hüther (2016), der sich dem Thema aus neurologischer Sicht nähert und meint: „Das menschliche Gehirn ist für kreatives Problemlösen optimiert, nicht zum Abarbeiten von Routinen“. „Der digitale Wandel erhöht den Veränderungsdruck in Unternehmen. Chefs sind nur dann erfolgreich, wenn sie ihre Mitarbeiter/-innen einbeziehen und nicht zu Befehlsempfängern degradieren“.
Für die Bankenbranche scheint es jedoch in einem ersten Schritt unabdingbar, zunächst zu definieren, was unter Digitalisierung verstanden wird, um die Mitarbeitern/-innen in einem zweiten Schritt in die Entscheidungen, über die Implementierung von Veränderungen durch die Digitale Transformation einzubeziehen. Beides könnte, trotz einfacher Mittel, ebenso stressmindernd bzw. gesundheitsfördernd wirken wie die Errungenschaften zukünftiger Technologien.
In eigener Sache
Mein ausdrücklicher Dank richtet sich an alle Teilnehmer meiner Studie, die ausschließlich aus dem Bankensektor stammten. Durch Ihre offenen und ehrlichen Antworten war es erst möglich, das Thema eingehender zu beleuchten.
Ferner handelt es sich bei diesem Artikel lediglich um einen Auszug aus der vorgestellten Studie. Bei Interesse kann die gesamte Studie gerne zur Verfügung gestellt werden.
Quellen
Cachelin, J.L. (2012): HRM Trendstudie 2012. Die Folgen der Digitalisierung – Neue Arbeitswelten, Wissenskulturen und Führungsverständnisse. St. Gallen: Wissensfabrik. Verfügbar unter: https://www.wissensfabrik.ch/pdfs/trend2012.pdf
Greif, S. (1991): Stress in der Arbeit – Einführung und Grundbegriffe. In S.Greif, E. Bamberg & N. Semmer (Hrsg.), Psychischer Stress am Arbeitsplatz(S. 1-28), Göttingen: Hogrefe
Häusser, J.; Mojzisch, A.; Niesel, A.; Schulz-Hardt, M. (2010): Ten years on: A review of recent research on the Job Demand-Control (-Support) model and psychological well-being, in: Work & Stress, January-March 2010 (Vol. 24, Nr.1), S. 2
Hüther, G. (2016). Die Zeiten, in denen der Chef alles überblickte sind vorbei.Verfügbar unter: http://www.manager-magazin.de/unternehmen/karriere/hirnforscher-huether-supportive-leader-beziehen-kollegen-ein-a-1120706.html
Karasek, R. (1979). Job Demands, Job Decision Latitude, and Mental Strain: Implications for Job Redesign. Administrative Science Quarterly, 24(2), 285-308. doi:10.2307/2392498
Landy, F. & Conte J. (2010): Work in die 21st century: an introduction to industrial an organizational psychology(S. 451), Hoboken: John Wiley & Sons
Mies, S. (2017). Wo liegt der Unterschied zwischen Daten, Information und Wissen?, verfügbar unter: https://www.artegic.com/de/blog/wo-liegt-der-unterschied-zwischen-daten-informationen-und-wissen
Riedl, R.; Kindermann, H.; Auinger A.; Javor A. (2012): Technostress from a Neurobiological Perspective. System Breakdown Increases the Stress Hormone Cortisol in Computer Users, doi: 10.1007/s12599-012-0207-7
Theorell, T., & Karasek, R. A. (1996). Current issues relating to psychosocial job strain and cardiovascular disease research. Journal of Occupational Health Psychology, 1(1), 9-26, verfügbar unter: http://dx.doi.org/10.1037/1076-8998.1.1.9