Unter Multitasking versteht man die Ausführung zweier oder mehrerer Aufgaben zur selben Zeit oder abwechselnd in kurzen Zeitabschnitten. Die Aufgaben sind voneinander unabhängig, das Ziel einer Aufgabe ist also nicht von den Resultaten der anderen Aufgabe abhängig. So wird beispielsweise eine E-Mail verfasst und gleichzeitig einem Bericht zugehört.
Ein spektakulärer und trauriger Fall von Multitasking kam jüngst vor Gericht: Bei dem Zugunglück von Bad Aibling im Februar 2016 wurden zwölf Menschen getötet, Dutzende verletzt, noch mehr traumatisiert. Zwei Regionalzüge waren aufeinander geprallt, weil der Fahrdienstleiter nicht nur an den Monitoren die eingleisige Strecke, sondern gleichzeitig am Handy ein Computerspiel verfolgt hatte. Das Urteil: drei einhalb Jahre Gefängnis.
Eine Frage der Aufmerksamkeit
Um zwei oder mehr Aufgaben zur selben Zeit bearbeiten zu können, müssen Aufmerksamkeitsressourcen aufgeteilt werden, so dass Multitasking hohe Anforderungen an unsere Aufmerksamkeits- und Verarbeitungsprozesse stellt. Wissenschaftliche Untersuchungen belegen, dass die Effizienz beim Bearbeiten verschiedener Aufgaben – im Vergleich zur seriellen Bearbeitung – sinkt und somit mit Fehlern, einem erhöhten Unfallrisiko und einer Leistungsminderung in Verbindung gebracht werden kann. Das Gehirn filtert Informationen automatisch auf eine vom Menschen wahrnehmbare Menge.
Multitasking verursacht Fehler
Qualitativ machen wir beim Multitasking mehr Fehler, und die fallen uns auch noch weniger auf. In einer Multitaskingsituation zögert man seltener als sonst und prüft schlampiger, ob alles in Ordnung ist. In der Folge berichtigt man Fehler seltener, so dass die Qualität der Leistung dramatisch sinkt. Wer am Steuer eines Autos nebenbei telefoniert, reagiert häufiger langsam, gar nicht oder falsch, wenn etwas Unvorhergesehenes passiert. Kaum besser ist es bei einer Freisprechanlage, deutlich schlechter, wenn man sich mit SMS-Nachrichten beschäftigt.
Multitasking verlangsamt das Denken
Sobald man etwas bewusst kontrollieren muss, ist Multitasking schlichtweg Illusion. Bewusste Kontrolle erfordert volle Aufmerksamkeit. Das gilt nicht nur für Computerspiele – auch wenn wir schreiben, lesen, sprechen, zuhören, Fehler suchen, prüfen, rechnen, Informationen oder Bilder analysieren, sowie auf Veränderungen in der Umgebung reagieren, sollten wir ganz bei der Sache sein. Wenn wir glauben, zwei solcher Tätigkeiten parallel erledigen zu können, täuschen wir uns. Tatsächlich verarbeitet das Gehirn beide Aufgaben „seriell“, aber in kleinen Häppchen; es springt ständig zwischen beiden Aufgaben hin und her. Das zeigen die elektrischen Signale der Großhirnrinde eindeutig. Deshalb geht beim Multitasking nichts schneller. Im Gegenteil: alles dauert länger.
Die Mär vom weiblichen Multitasking
Häufig wird Frauen nachgesagt, sie könnten Multitasking besser als Männer. Entgegen dieser landläufigen Meinung zeigen die meisten Untersuchungen jedoch keinen Unterschied zwischen den Geschlechtern. Jeder Mensch, der zwei Aufgaben gleichzeitig bearbeitet, erzielt deutlich schlechtere Leistungen, als wenn er sie der Reihe nach löst. So konnten bisher noch keine systematischen Unterschiede zwischen den Geschlechtern belegt werden. Einzelne Studien deuten auf einen Unterschied zwischen den Geschlechtern in bestimmten Situationen hin. Doch möglicherweise nehmen Frauen auch einfach dann häufiger eine zweite Tätigkeit auf, wenn sie die andere vollautomatisch beherrschen. Routine eben. Dann würden sie nur schlauer auswählen.
Die Multitaskingdeterminanten
Die Leistung bei Multitaskingaufgaben wird durch drei Faktoren determiniert:
- Aufgabenähnlichkeit
Wenn zwei oder mehr Aufgaben sich in ihrer Darbietungsform (auditiv, visuell etc.) stark ähneln oder auf gleiche Gedächtniskodes zugreifen, ist die Wahrscheinlichkeit einer schlechteren Leistung in der Bearbeitung deutlich höher. Das bedeutet: Je ähnlicher die zeitgleich zu erledigenden Aufgaben sind, desto schlechter wird die Leistung.
- Übung
Wie gut mehrere Aufgaben gleichzeitig ausgeführt werden können, hängt auch davon ab, wie erfahren man damit ist. So kann ein geübter Autofahrer in der Regel leichter gleichzeitig ein Gespräch führen, als ein Fahrschüler. Übung fördert also die Mehrfachaufgabenperformanz durch Entwicklung von Strategien zur Ausführung, um mit weniger Ressourcen auszukommen. Durch Übung können wir an den Punkt gelangen, dass ein Teil der Aufgabe „automatisiert“ wird, also weniger Anforderungen an die kognitive Kapazität gestellt werden, was eine Geschwindigkeitserhöhung zulässt. Allerdings kann Übung bzw. Erfahrung auch einen gegenteiligen Effekt haben, da automatisierte Prozesse schnell und unvermeidbar ablaufen und so dem Bewusstsein nicht zugänglich sind.
- Aufgabenschwierigkeit
Ein wichtiger Faktor ist auch die Aufgabenkomplexität. Je schwieriger eine Einzelaufgabe ist, desto mehr Aufmerksamkeitsressourcen benötigt sie und umso schlechter ist die Leistung in der Multitaskingsituation.
Wann kann Multitasking funktionieren?
In immer mehr Jobs wird „Multitasking“ erwartet. Besonders häufig sollen die Beschäftigten weiterarbeiten, während sie das Telefon abnehmen oder sich die Wünsche von Kollegen, Chefs und Kunden anhören. Viele empfinden das als Stress. Jeder zweite Beschäftigte wird häufig bei der Arbeit gestört. Manche betreiben dann Multitasking, sie reagieren und arbeiten gleichzeitig an der bisherigen Aufgabe weiter. Andere unterbrechen ihre Arbeit und konzentrieren sich auf die neue Anforderung. Kehren sie zur eigentlichen Arbeit zurück, müssen sie sich erst auf den Stand vor der Störung bringen. Das kostet Zeit, und Details gehen umso mehr verloren, je anspruchsvoller die Aufgabe ist. All das senkt die Leistung. Ausnahmen sind hier Tätigkeiten, die man vollautomatisieren kann – Bewegungsroutinen etwa oder einfache Aufgaben, die häufig wiederkehren. Wenn man etwa jederzeit neu beginnen kann, ohne sich eindenken zu müssen, stört eine Unterbrechung kaum. Auch im Beruf gibt es Aufgaben, die man automatisieren und zur Routine machen kann.
Insgesamt wird jedoch Leistung nicht dadurch gefördert, Multitasking zu verlangen, sondern dadurch, es zu minimieren, was wiederum eine Top-down-Frage und somit eine Frage der Führungskultur ist.
Quellen
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Psychologie heute 14/07 „Ein ständiges Hin- und Her – 5 unangenehme Wahrheiten über Multitasking und eine Ausnahme“